Camino Mozarabe
Von Monterrubio de la Serena bis Mérida
1: Provinz Almería
2: Provinz Granada
3: Provinz Jaén
4: Provinz Córdoba
5: Provinz Badajoz
Mit 18,4 Kilometer ist dies eine der besonders kurzen Etappen. Man kann sich auf der Strecke, die durchgehend über die Asphaltpiste führt, auch nicht verlaufen.
So komme ich früh in Castuera an, die Schlüssel zur Herberge bekommt man bei der örtlichen Polizei. Die zwei Beamten belustigen sich etwas darüber, wie man bei diesen Temperaturen wandern kann. Sie plaudern so schnell, dass ich kaum ein Wort verstehe, zudem scheint der eine Beamte zusätzlich einen regionalen Akzent zu haben, der jedes Verstehen unmöglich macht.
Als ich versuche, das große Tor zum Gelände der Herberge aufzuschließen, probiere ich nachher alle drei Schlüssel am Bund aus. Geht nicht. Nochmals, einer nach dem anderen. Da kommt mir ein Nachbar zu Hilfe, mit etwas Gewalt schafft er, das Tor zu öffnen. Ich bin erleichtert.
Die Unterkunft ist äußerst großzügig, wir haben zwei Schlafräume, zwei Badezimmer, eine Terrasse und einen Innenhof für uns. Und eine Küche mit allem drum und dran.
Schade, dass das Turrón-Museum in Castuera jetzt geschlossen hat, das wäre hier etwas Interessantes. Zumindest ist Turrón eine besondere Leckerei.
Im Ort finde ich eine Statue eines Conquistadors, der Chile kolonisiert hatte. Von den Conquistadoren stammen viele aus der Extremadura, erfahre ich dort auch. Vielleicht ist aus dem Grund, dass diese Region sehr ländlich geprägt ist, wenn manche das Abenteuer in der Ferne gesucht haben.
Ich der Nähe scheint es eine Disko zu geben. Ich gehe aber nicht mehr aus, um beim Tagesanbruch auf den Weg starten zu können. Auch wenn heute Samstag ist. Die Musik höre ich bis 5 Uhr morgens, dann kehrt Ruhe ein.
Alle Räume der Herberge inspizieren, ob ich nichts vergessen habe, Müll hinausbringen und abschließen. Danach gleich zur Polizei. Sonntag früh ist deren Büro nicht besetzt. Also die Schlüssel der Herberge in deren Briefkasten werden und ab zur nächsten Bar. Nicht zum morgendlichen Bier, sondern zum Kaffee. Einer der Gäste trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift „Extremadura“. Das hätte ich gern. Aber ihn anzusprechen, um es ihm abzukaufen, wäre mir dann doch zu peinlich.
Heute führt der Weg durch reine Natur. Golden leuchten gemähte Wiesen im Morgenlicht, Steineichen verharren darin wie einsame Wächter. Einsam ist das passende Wort. Auf den 20,4 Kilometern begegne ich keinem einzigen Menschen.
Dort, wo reger Betrieb sein könnte, herrscht vollkommene Stille. Ein Bahnhofsgebäude, noch intakt, aber rundum eingezäunt. Die Gleise, die vorbeiführen, sind eigentlich noch in gutem Zustand. Scheinbar wurde hier der Zugbetrieb eingestellt.
Das Highlight auf dieser Etappe ist ein Teich. Und seine Bewohner. Die sofort flüchten, als ich an den Rand komme. Ich muss jedoch nur lange genug warten, ohne mich zu regen. So kann ich beobachten, wie sie an der Oberfläche erscheinen, nach Luft schnappen und wieder abtauche. Schildkröten! Zahllose Libellen tummeln sich hier ebenso.
Einige Kilometer weiter sehe ich ein Bahnhofsgebäude, das einsam und verlassen in der Gegend steht. Einige Zeit später taucht das Ortsschild von Campanario auf. Es wurde wirklich weit außerhalb aufgestellt. Von der Stadt ist noch weit und breit nichts zu sehen. Eine Stunde weiter erreiche ich tatsächlich eine städtische Siedlung. Es wird Zeit, die Navigation einzuschalten, die mich zum Ziel führen soll. Es ist eine private Unterkunft namens „Albergue Turístico La Estación de Campanario“. Das Handy zeigt mir an, dass diese Unterkunft sich weit außerhalb von Campanario befindet. Moment! „La Estación?“ Das Gebäude, an dem ich vor fast zwei Stunden vorbeigekommen bin, war doch … ja, genau, es war … ein Bahnhofsgebäude. Verdammter Mist! Zwei Stunden wieder zurücklaufen!
Bald merke ich aber, dass ich nicht auf dem gleichen Weg zurückgeführt werde. Also doch nicht zurück.
Diese Bahnhofstation ist eine andere. Und sie wurde beeindruckend liebevoll umgebaut in eine Herberge mit Restaurant und Bar. Hier treffe ich auch die deutsche Pilgerseniorin wieder, die einiges über ihre Pilgererfahrung zum Besten gibt. Mit Schienbeinbruch die letzten 100 Kilometer bis nach Santiago geschleppt, mit künstlichem Armgelenk und noch einigen anderen Erkrankungen.
Plötzlich ist ein lautes Rauschen zu hören. Wie von einem Fön. Einem überdimensionieren. Was ist das? Plötzlich sehe ich ihn. Ein Zug hält direkt neben dem Gebäude. Als er wieder losfährt, bin ich perplex. Den ganzen Tag lang war das Gleis in direkter Nähe, aber kein einziger Zug zu sehen. Also doch nicht stillgelegt. Unterwegs hatte ich öfters gedacht, man könnte eigentlich direkt die Gleise entlang laufen und sich einige Umwege sparen.
Noch ein letztes Abschiedsfoto von uns fünf, dann geht es los.
Tatsächlich gibt es Zugbetrieb am frühen Morgen. Zwei Bahnen halten. Dann tut sich nichts auf dem Gleis, in dessen Nähe wir wandern. Die Extremadura ist wirklich sehr landschaftlich geprägt, größere Schafherden weiden auf den gemähten Wiesen.
Wenig Abwechslung, bis wir einen kegelförmigen Hügel in der Ferne erkennen. Darauf scheint sich auch eine interessante Burg zu finden. Nach ein paar Umwegen, die uns fehlende Wegweiser bescheren und einem Spanier mit Rechts-Links-Schwäche, den wir nach dem Weg fragen, schaffen wir es auf den Gipfel.
Die Burg, die über dem Ort Magacela thront, ist phänomenal. Es ist eine Ruine. Die zum Teil aus der Römerzeit stammt, von den Sarazenen übernommen und erweitert wurde und bis zur Neuzeit genutzt wurde. Der Ausblick von oben ist einmalig. Zumindest versprechen wir uns das, als wir vor einer etwas wackeligen Leiter innehalten. Sollen wir da wirklich hoch.
Den Rucksack lassen wir unten. Mit etwas Überwindung schaffen wir oben auf dem Turm.
Der Fernblick ist unglaublich, kilometerweit sieht man die Landschaft rundum. Geier kreisen über der Burg. Ein Traum!
Nach der Besichtigung machen wir uns auf den Weg nach Don Benito. 16,2 Kilometer müssen wir nachmittags noch herunterreißen. Aber dieser längere Aufenthalt auf der Burgruine war es einfach wert.
Die Herberge ist eine soziale Einrichtung, unter anderem für Obdachlose, nimmt aber auch Pilger auf. Heute habe ich zur Abwechslung mal Gesellschaft in Don Benito. Die Bewohner sind überraschend freundlich und herzlich. Jeder hat seine Aufgaben in der Einrichtung, die von einem Verwalter betreut wird, der dort sehr gut Deutsch spricht - er arbeitet regelmäßig in Mallorca.
Es gibt feste Regeln - Abendessen um 8:30, Torschluss um 22 Uhr. Auf eines weist der Verwalter mich noch hin, bevor ich noch eine Abendrunde unternehme. Bitte nichts Alkoholisches in die Herberge mitbringen. Außerhalb in einer Bar gehen wäre okay. Seine Bitte war freundlich, aber mir ist klar, dass diese Regel besonders wichtig ist.
Als Pilger habe ich hier fast eine Vorzugsbehandlung, da ich für keine Arbeiten eingeteilt werde. So kann ich in der Gemeinschaft ein leckeres Abendessen mit Tomatensalat, Schnitzel und Brot genießen. Heute Abend gibt es dazu Wasser statt Bier.
Um halb acht finden sich alle Bewohner der sozialen Unterkunft von Don Benito zum gemeinsamen Frühstück ein. Die Gesellschaft ist sehr angenehm und ich habe die Gelegenheit, etwas Spanisch zu üben.
Den Weg aus der Stadt zu finden ist anfangs etwas kompliziert, doch bald finde ich mich zwischen Kleingärten und Tomatenfeldern wieder.
Die Burg von Medellin erhebt sich vor uns. Der Name ist ja sehr bekannt. Nicht immer im Positiven. Hernan Cortes, der Bekannteste der spanischen Conquistadoren, hatte die Stadt in Kolumbien nach seinem Heimatort benannt. Da er das Aztekenreich in den Untergang geführt hatte, eine umstrittene Persönlichkeit.
In Medellin befinden sich neben dem Castillo auch die Ruinen eines römischen Theaters. Für beides braucht man eine Eintrittskarte. Ich entscheide mich für die Besichtigung der Burg, damit es zeitlich im Rahmen bleibt. Die Ticketverkäuferin ist sehr freundlich. Wir plaudern eine Weile, wobei sie hier und da mein Spanisch korrigiert.
Das Burggelände ist interessant gestaltet, mit Ausstellungen zur Geschichte in verschiedenen Räumen. Man kann auch die Burgmauer entlang laufen, muss aber etwas vorsichtig sein, da die Rekonstruktionsarbeiten noch in Arbeit sind. Die ältesten Teile sind noch aus römischer Zeit, später erweitert von den Sarazenen. Sogar in jüngerer Zeit war die Anlage ein Kampfschauplatz und würde dabei beschädigt. Ein Turm diente im spanischen Bürgerkrieg als Stellung für ein Maschinengewehr.
In einem der Räume steht eine Replikation der Rüstung, die Hernan Cortes getragen haben soll. Bei der Darstellung des Helms fällt mir wieder ein Irrtum auf. Üblicherweise werden die Conquistadoren immer mit den sogenannten Morions dargestellt. Doch diese Helme kamen erst Jahrzehnte später in Mode. Auf indianischen Zeichnungen sieht man die Spanier immer mit den klassischen Eisenhüten.
Nachdem wir die Burg von Medellin ausgiebig besichtigt haben, führt der Weg uns über eine römische Brücke.
Sattes Grün bedeckt die weite Ebene. Hier wird Reis angebaut. Dann wird es unschön. Es geht am Rand der Schnellstraße entlang. Viele Laster brettern vorbei, einige mit Tomaten beladen. Ich laufe auf der linken Seite, um entgegenkommen Autos rechtzeitig zu sehen und notfalls in den Graben springen zu können.
Plötzlich, ein Tomatenlaster rauscht von hinten heran, wechselt auf meine Spur und hupt mit ohrenbetäubendem Getöse. Danach wechselt er die wieder und rauscht davon. Was für ein Drecksack! Ich bedanke mich mit einer Drohgebärde.
Laut Etappenbeschreibung wird es aber noch schlimmer. „Gefährlich“ bewertet die Tourenbeschreibung den letzten Abschnitt nach Torrefresneda. Es geht über einer Brücke, danach am Rand der Straße entlang, an der sich LKW an LKW drängt, und noch mehr Autos. Kilometerweit. Wenn das Gelände es erlaubt, flüchte ich hinter die Leitplanke und wandere dort. So fühle ich mich sicherer.
Der Etappenbeschreibung zufolge erwartet mich heute ein wenig attraktiver Weg. Überwiegend würde er mich an der Straße entlangführen und erst der Schluss interessanter werden.
Am Ortsbeginn von Trujillanos weckt dennoch ein Schild mein Interesse. Es weist auf einen Naturpark namens Cornalvo hin. Ich betrete das Besuchergebäude, das sich hier befindet und schaue mich um. Doch nichts ist darin zum Besichtigen. Niemand da. Ich verlasse das Gebäude schnell, bevor noch jemand auftaucht und Eintritt kassieren will Plötzlich läuft eine Dame heraus und ruft mit hinterher. Ob ich irgendwelche Fragen hätte. Öhm, eigentlich nicht. Höflich erkläre ich, dass ich nur mal schauen und dann weiterwandern wollte. Sie überredet mich, umzukehren, und hält sie mir einen Plan vor die Nase. Darin sind einige Sehenswürdigkeiten in dem Naturpark eingezeichnet, die nur wenige Kilometer entfernt sind. Die man mit dem Auto besichtigen könnte. Kein Auto. Ich bin leider nur zu Fuß hier, erkläre ich. Die ist sehr freundlich, aber schnell wird ihr klar, dass mindestens 14 Kilometer zusätzlich allein für den ersten Punkt etwas zu aufwändig wäre.
Da ich nach 16 Kilometern Bedarf nach kühlen Getränken habe, schaue ich mich in Trujillanos nach einem Supermarkt um. Laut Handy-Navigation müsste es einen geben, doch ich finde ihn nicht. Ich frage einen Bürger danach, der mich direkt vor die Tür des Ladens führt. Ich sehe diesen erst, als er direkt auf einen Vorhang zeigt. Es ist erstaunlich. Kein Schild, kein Schaufenster, keine Ware vor dem Gebäude. Nur ein Vorhang gegen die Hitze, wie sie sich vor vielen anderen Hauseingängen befindet. Dahinter ein kleiner Supermarkt. Hier muss man wirklich Ortskenntnisse haben. Oder jemanden fragen.
Nur wenige Meter vor Mérida entdecke ich etwas, mich magisch anzieht. Ein großes Gelände mit leeren Lagerhallen, baufällig, über und über mir Graffiti bemalt.
Eine Ansammlung von Bauteilen dort aus Beton könnte ein Hobby-Archäologe wie ich leicht als ein Kolosseum missinterpretieren.
Auf dem Weg zur Unterkunft, einem Hostel- die Herberge von Mérida ist bis zum 1. September geschlossen - sehen wir bereits Reste eines Aquäduktes. Wir gönnen uns etwas Siesta, begeben uns abends bei Mondschein nochmals auf eine Erkundungstour.
Wir entdecken noch einen weiteren Aquädukt. Dieser ist erstaunlich gut erhalten.
Für Mérida hatte ich wieder einen längeren Aufenthalt geplant. Die Stadt ist erstaunlich. Überall Ausgrabungen aus der Römerzeit. Manche Gebäude wurden auf Stelzen gebaut, um die Fundamente darunter zu erhalten. Es gibt zwei Brücken aus dieser Zeit. Am Ufer des Flusses, über den die größere Brücke führt, steht eine Alcazaba. Eine muslimische Festungsanlage. Aus der frühen maurischen Zeit und, wie ich erfahre, wurde diese aus römischen Steinen errichtet. Davon gibt es mehr als genug, und im 9. Jahrhundert hatte man diese gerne als Baumaterial verwendet.
Wenn man sich in Mérida abends auf die Terrasse setzt, ist man mit etwas Glück bald in Gesellschaft. So lerne ich eine Gruppe eines Kulturvereins kennen. Auch eine Archäologin. Wenn ein Archäologe zwei Steine nebeneinander entdeckt, weckt es sofort seine Neugier. In der Fantasie entstehen daraus Gebäude. So funktioniert ihre Arbeit, erklärt sie mir. Wobei es bei Bauwerken aus der Römerzeit sehr leicht wäre, etwas zu feiern, da diese eine sehr einheitliche Bauweise angewendet hatten. Egal ob welcher römischen Provinz.
Mérida war seinerzeit die Hauptstadt der östlichen Provinz Lusitania, die sich seinerzeit über den Großteil von Portugal und einen Tag von Spanien ausdehnte. Durch vier Aquädukte, von denen heute noch die Überreste von zwei erhalten sind, war die Wasserversorgung sehr gut gesichert. So entwickelte sich die Stadt damals zur Metropole.
Beeindruckend sind auch das Amphitheater (ganz rund, für Gladiatorenkämpfe) und das Römische Theater (halbrund, mit einer Bühne). Dort wurden überwiegend auch klassische griechische Komödien und Tragödien aufgeführt. So wie im Moment auch. Zu meiner Überraschung findet in der Stadt derzeit das internationale Theaterfestival statt. Das älteste weltweit, wie ich erfahre. Ein Schauspiel schaue ich mir auch an. „Orestes“. Es ist in Spanisch. Ich kann ich der Handlung nicht in geringsten folgen. Das muss leider zugeben. Meine Sprachkenntnisse sind eben nicht ausreichend. Zwischendurch gibt es Musik und Tanz, was das ganze etwas auflockert.
Mérida ist ein wirkliches Highlight am Ende des Camino Mozarabe. Hier endet auch meine Pilgertour.