Auf dem Camino del Norte / Camino de la Costa IV
Weiter durch Asturien
1: Baskenland
2: Kantabrien
3: Asturien Teil 1
4: Asturien Teil 2
5: Galicien
Nach dem Frühstück um 10 Uhr fühle ich mich nicht gerade fit zum Wandern - dennoch muss ich mich auf den Weg machen. Wenn ich in Gijon noch einen weiteren Tag hängen bleiben würde, wäre ich gar nicht mehr in der Lage zu Pilgern. Dafür gefällt mir die Stadt und der Strand zu gut. Und das Nachtleben.. also Los, bevor ich auf den Gedanken komme, den Rest der Pilgertour hier zu verbringen.
Nachdem mir auf dem Camino del Norte schon öfters aufgefallen ist, dass man an vielen Bergwerken, Eisenhütten und Industriehäfen vorbeiwandert, scheint diese Etappe am Herz der spanischen Eisenproduktion entlang zu führen - eine riesige Fabrik befindet sich hier mit Stahlproduktion, Wälzerei und einem eigenen Güterbahnhof: Fertiberica.
In der Herberge treffe ich die drei deutschen Pilger aus Leipzig wieder - eine von ihnen war mit dem Bus vorausgefahren und hatte drei Tage hier verbracht. Gerade als ich ankomme, treffen sich die Drei und begrüßen sich euphorisch. Abends findet einiges an Live-Veranstaltungen wie Rap-Wettbewerb statt - nur kurz können wir dieses verfolgen, es ist Samstag, Fiesta. Und die Herberge schließt um 22 Uhr.
Gerade als wir starten wollen - die drei aus Leipzig, ich und noch ein Engländer mit Gitarre - bemerkt die eine Pilgerin morgens, das sie zusätzlich zu den physischen Problemen noch ein materielles hat: ihr Geldbeutel ist abhanden gekommen, Personalausweis und Bankkarte inklusive. Erfolglos machen wir uns auf die Suche an den letzten Plätzen der Stadt, bei denen sie gewesen ist. Also verbringen wir den ganzen Vormittag mit Suche und den notwendigen Formalitäten. Der Engländer verkürzt die Zeit und spielt Gitarre, wir kommen erst spät mittags los.
Die Herberge in Salinas, die wir als Unterkunft für diese Nacht ausgewählt haben, gibt es nicht mehr. Die Infos aus den Reiseführern sind somit nicht mehr aktuell. Wir wandern weiter - ein paar Orte weiter soll es einen Campingplatz geben. Die sagt allen nicht zu und ist zudem nicht billig. Nach einiger Zeit der Erkundigung unserer Umgebung finden wir eine schön gelegene Ecke außerhalb - eine Rasenfläche, die von der Straße nicht einsehbar ist, am Fluss liegt und von Wald umrahmt ist. Diese Umgebung gefällt uns auf den ersten Blick. Wir machen uns an die Planung, wie wir zu Fünft in beiden 2-Mann-Zelten unterkommen.
Die Lösung, mit einer zwischen den beiden Zelten gespannten Plane ist ideal. Ich habe sogar mehr Platz darunter als die anderen, die jeweils zu zweit im Zelt schlafen. Vorher wechseln sich der Pilger aus Leipzig und der Engländer mit Gitarrespielen ab.
Nachts ist das lauteste Geräusch der rauschende Fluss neben uns. Ein Waldkauz verkündet seine Präsenz mit seinem schaurigen Ruf, vor Sonnenaufgang ist ein Steinkauz zu vernehmen.
Morgens tauchen überraschend einige Schafe auf, die auf der Wiese frühstücken wollten, uns stattdessen neugierig anschauen und kurz darauf wieder verschwinden. Ein Schäfer erscheint danach. Der Pilger aus Leipzig begrüßt ihn und versucht sich zu entschuldigen dafür, dass wir auf seiner Wiese campen, der jedoch beruhigend antwortet: „passio nada“ - kein Problem, interpretiere ich.
Nach einer kurzen Wanderung entscheiden wir uns für den Bus. Die Leipziger Pilgerin kann kaum noch laufen. Außerdem hat sich das Abbauen der Zelte lange hingezogen, jetzt ist es zudem noch heiß. Die Anderen fahren eine weitere Strecke als ich, um mehr Weg zu sparen - ich verabschiede mich kurz vor San Esteban, da ab dort der Küstenweg äußerst attraktiv zu Wandern ist. Der Ort liegt nicht direkt am Camino, es gibt aber eine Jugendherberge. Den dortigen Strand kann man sich jedoch sparen, bemerke ich, als ich ihm sehe: statt Sandstrand nur scharfe Felsen und Steine, auf denen man nicht mal sitzen kann.
Kurz vor Soto de Luiña finde ich Steinpilze und nehme die mit - vielleicht gibt es in der Herberge eine Küche und ich kann die Pilze dort braten. Gibt es nicht. Dafür lerne ich dort einige spanische Pilger kennen, die von ihrem Limonaden-Wein-Getränk anbieten. Seit dem frühen Abend regnet es, der Hospitalero erscheint und gibt Tipps für den Camino des folgenden Tages: bei schlechterem Wetter sollte man auf keinen Fall den Weg über die Berge nehmen.
Die Tipps am Vortag für den Pilgerweg haben mich neugierig gemacht, ich entscheide mich dafür, die Bergetappe auszuprobieren. Irgendwo auf der Höhe sehe ich den letzten Weghinweis, dann folgt ein steiler Trampelpfad durch den Wald, der zudem rutschig ist. Und an einer Straße endet. Keine Wegweiser sind zu finden - es ist schwierig, sich irgendwie zu orientieren, jede Abzweigung führt in eine Sackgasse. Nach ewiger Zeit und mit Ablenkung durch Musik habe ich einen Weg gefunden, der vom Gebirge herabführt und in den Camino am Meer mündet. Endlich bin ich wieder in der Zivilisation angekommen. Und begegne kurz darauf den drei Pilgern vom Vorabend.
Es ist ein Spanier und zwei Spanierinnen. Musik brauche ich nicht mehr zu hören, die Pilgerinnen sind ein Entertainment-Vollprogramm. Es gibt keine Minute, die sie nicht mit Singen, Wortspielen oder irgendwelchen Witzen verbringen. Verstehen kann ich zwar nichts davon, lustig ist es dennoch.
In Luerca treffe ich die drei spanischen Pilger wieder, denen sich noch einige weitere Spanier anschließen. Zum Glück finden noch zwei deutsche Pilger Anschluss an unsere Gruppe für den Besuch einer Sidreria - das Diskussionschaos in Spanisch hatte mich langsam überfordert.
Von Luarca aus wandere ich wieder alleine. Für fast alle Spanier, da sie nur einen Teil des Camino wandern, war dort die Pilgertour zu Ende. Jedoch nach einer Stunde hole ich eine Pilgerin ein, die mir auf den ersten Blick bekannt vorkommt. Auf den zweiten Blick jedoch nicht, sie hatte nur Ähnlichkeit mit der Spanierin. Sie ist Mexikanerin und startet in Luarca ihre erste Etappe.
Morgens planen wir - die Mexikanerin und ich - die 22 km zusammen bis nach Ribadeo zu wandern. Bald gibt es einen Alternativweg, der näher am der Küste entlangführt und attraktiver ist als der offizielle Camino. Der aber etwas länger ist und durch den Ort Tapia führt. Da wir ziemlich langsam vorangekommen sind und es zunehmend heiß wird, brechen wir nach der halben Etappe die Wanderung ab, melden uns in der Herberge in Tapia an und verbringen den Rest des Tages am Strand und in einer Bar am Hafen. Zwei Pilgerinnen schließen sich noch an: eine Schweizerin und eine Spanierin, welche die Mexikanerin kurz zuvor in der Herberge kennengelernt hat.
Von Tapia wandern wir zu dritt, die Mexikanerin, die Schweizerin und ich. In Ribadeo kommen wir als erstes bei der örtlichen Pilgerherberge vorbei, dort begrüßt mich ein Pilger und meint, er würde mich vom Camino Francés aus dem Jahr 2012 kennen. Auf den zweiten Blick erkenne ich ihn erst wieder, es ist der Argentinier, mit dem ich am letzten Tag vor Santiago ein Zimmer in einer Pension geteilt hatte - spontan, da zu dem Zeitpunkt alle Plätze in den Herbergen belegt waren. Dort treffe ich ebenso die Drei aus Leipzig wieder, mit denen ich einige Tage zuvor gecampt habe. Als nächstes: Essen mit den Pilgerinnen, mit denen ich heute gewandert bin, in einem Tapas-Restaurant. Wir verabschieden uns im Anschluss, da die anderen beschlossen haben, mit dem Bus nach Ferrol zu fahren, um zum Camino Inglés zu wechseln. Ich wandere weiter auf dem gleichen Camino bis nach Vilela - zu dem Dorf, das aus nicht viel mehr als der Herberge und dem Restaurant besteht.
Der Hospitalero ist gleichzeitig der Besitzer und der Koch des Restaurants im Ort. Vielleicht auch gleichzeitig der Bürgermeister - das würde mich nicht wundern. Auf der Terrasse vor dem Restaurant fällt mir spätabends eine besonders ausgelassene Stimmung auf. Und mir wird erzählt, dass es heute Bier auf Kosten des Hauses gibt. Mit der Zeit eskaliert die Situation, ein Schweizer versucht, den Pilgerstempel seitenverkehrt in seinen Pilgerausweis zu setzen, indem er erst auf seine Stirn stempelt und auf die Stirn seinen Ausweis drückt. Einige Spanier aus der Bar schließen sich bald der Fiesta an und die Stimmung eskaliert weiter. Im Detail sind die Ereignisse zu kompliziert zu beschreiben.. eine Situationskomik der nächsten, 2 Uhr morgens entscheiden sich alle, sich zur Nachtruhe in der Herberge zu begeben. Was den Effekt hat, das alle Pilger, die dort schon schlafen, wach werden, Minuten später, nachdem sich zwei gegenseitig die Zähne geputzt haben, beginnt einer, der mitgefeiert hat, so laut zu schnarchen, dass die kurz zuvor Aufgeweckten keinen Schlaf mehr finden.