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Westweg
Von Pforzheim bis Forbach


[22.09.2021] Von Pforzheim bis zum Schwabenturm

Ursprünglich hatte ich mir vorgenommen, auch im Jahr 2021 einen Pilgerweg in Spanien, Italien oder Frankreich zu unternehmen. Im Frühjahr und im Sommer wogen Bedenken wegen Reisebeschränkungen und drohender Quarantäne nach der Rückkehr vor, im Herbst waren die Wetterprognosen für eine Wanderung in Südfrankreich ungünstig. Schließlich wurde es der Westweg, der in Pforzheim beginnt.

Nach einer kurzen Fahrt von Karlsruhe komme ich in Pforzheim an, begebe mich ins Tourimusbüro und erhalte die Stempelkarte, meine „Credenciales“. Die freundliche Angestelle reicht mir dazu einen Plan für öffentliche Verkehrsmittel am Westweg, falls ich diese mal brauchen würde. Wenn ich zu Fuß unterwegs bin, zwar unnötig, aber es kann sicher nicht schaden, denke ich. Die Credenciales sind sogar gratis, daher nehme ich eine zweite für meine Wanderbegleitung mit.

Zum ersten Mal starte ich nicht alleine auf eine Wanderung, diesmal habe ich eine Begleitung an meiner Seite. Den Knoddelhasen. Kurz nach dem „Kupferhammer“, einem Restaurant am Ende des grünen Parks am Rand von Pforzheim, erreichen wir gemeinsam die „Goldene Pforte“, die den Beginn des Westwegs markiert und holen unsere Stempel ab, um zu bestätigen, dass wir tatsächlich hier waren.

Der Weg führt stetig aufwärts durch Wald, bis ich ausserhalb des Stadtgebietes den Burgenwanderweg bei der Ruine Hoheneck erreiche - von deren Existenz nur ein paar einzelne Steine künden, danach führen mich die Markierungen an einer Fabrikruine vorbei über eine Sandsteinbrücke nach Dillweißenstein. Ein sehr idyllischer und mittelalterlicher Ort.

Die Orientierung wird wie gewohnt etwas schwierig, wenn man durch Ortschaften wandert, doch nach einiger Zeit entdecke ich die Wegmarkierungen wieder. Anhand der Raute kann ich mich wieder orientieren und durchquere Büchenbronn. Etwas später erreiche ich ein Wildgehege mit Rehen, Wildschweinen und Hirschen.

Ich lege eine Rast ein und packe Wegzehrung mit belegtem Brot aus. Als ich beim Essen bin, fragt mich ein vorbei wanderndes Seniorenpaar, ob ich mir die Mahlzeit auch verdient habe. Als ich erzähle, dass ich von Pforzheim hierher gewandert bin, nicken sie und geben mir die Erlaubnis für eine Stärkung.

Es gibt hier einen Automaten, in dem man für zwei Euro einen Becher mit Tierfutter besorgen kann. Doch zuvor war ich einer Kindergruppe begegnet, welche die Wildtiere schon versorgt haben. Dies sollte genügen. Zudem befinde ich mich hier im schwäbischen Gebiet. Hier verschenkt man nichts.

Am Ende des Wildparks ist eine Tafel aufgestellt, die verschiedene Wege aufzeichnet. Zu meiner Überraschung sehe ich, dass die Symbole, denen ich gefolgt bin, sich nicht auf dem Westweg befinden. Es handelt sich um eine Variante, den „Mittelweg“. Beide Symbole zeigen eine Raute, doch während der Westweg einfach nur die Raute darstellt, ist der Mittelweg durch einen weißen Strich ergänzt. Um auf den richtigen Weg zurückzufinden, wandere ich einen Hang durch den Wald abwärts in Richtung Fluss. Erst bin ich begeistert über den Pilzreichtum im Wald und vermeine sogar Pfifferlinge entdeckt zu haben, später bin ich ernüchtert, da der Pfad zunehmend steil wird. Ein kurzes Stück muss man sich sogar abseilen.

Als wir endlich wieder die Markierungen der normalen Raute gefunden haben, gönnt sich mein Begleiter eine Pause auf einer typisch schwäbischen Bank.

Verunsichert, weil nach vielen Meter erneut keine Markierung zu sehen ist, ziehe ich mein Handy hervor, schaue kurz auf die GPS-Karte, gehe einige Schritte und *WUMMS*!
Taumeld und fluchend bemühe ich mich, das Gleichgewicht wiederzufinden und erkenne die Ursache meines Malheurs. Ein Baumstamm quer über dem Weg, genau in Kopfhöhe. Er hat mich erwischt, genau in dem Moment, als ich auf mein Handy geblickt habe. Die gerechte Strafe für unaufmerksame Handy-verliebte, der Hans-guck-in-die-Luft-Klassiker, an denen solche Trottel gegen einen Laternenpfahl rennen. Gottes Strafe für Dummheit, hätte man früher gesagt. Ein wenig bin ich in diesem Moment sauer, da es sich nur um einen kurzen Moment der Unaufmerksamkeit handelte.

Etwas weiter befindet sich eine Plakette am Wegrand mit einer Inschrift über die Entstehung des Pfades.

Nach einem kurzen Anstieg erreiche ich die Burg Neuenbürg, als die Dämmerung einsetzt. Ich stelle fest, dass es ein Fehler war, erst zur Mittagszeit auf die erste Etappe zu starten, denn ich habe nur die erste Hälfte der Etappe geschafft, deren Ziel Dobel ist.

Als ich durch den Ort Neuenbürg wandere, ruft mir eine ältere Dame aus einem Fenster zu, ich solle die Polizei rufen, denn sie wäre in ihrer Wohnung eingesperrt und ich unterbreche meine Wanderung. Was genau das Problem wäre, versuche ich herauszufinden und sie erzählt, ihr Vermieter hätte die Wohnung zugesperrt, sie hätte keinen Schlüssel. Da es mir nicht gelingt, die Situation zu klären und ich nicht bedenkenlos meinen Weg fortsetzen will, erfülle ich ihren Wunsch und rufe bei der Polizei im Ort an. Der Beamte am Telefon erklärt, momentan wäre es schwierig, jemanden vorbeizuschicken - bei ihnen würde es sozusagen brennen und ob es ein wirklicher Notfall wäre, eine akute Gefahrensituation, Raubmord oder dergleichen. Ich verneine, so dramatisch wäre es nicht, aber mir wäre die Situation auch nicht ganz klar. Er verspricht, er würde jemanden vorbeischicken, doch es würde länger dauern, wahrscheinlich eine Dreiviertelstunde.

Etwas schneller als erwartet taucht ein Polizeiauto auf, zwei junge Blondinen in Uniform steigen aus. Denen erkläre ich kurz, warum ich angerufen hatte. Darauf wenden sie sich der älteren Dame zu und versuchen, die Situation zu klären. Einige Zeit vergeht, bis eine der Beamtinnen sich mir zuwendet, meine Personalien aufnimmt und mir danach erlaubt, den Tatort zu verlassen.

Ich fluche leise, als ich den mit Straßenlaternen beleuchteten Ort verlasse und den Weg durch den Wald nur noch mit Taschenlampe fortsetzen kann. Mittlerweile hat sich die Nacht durchgesetzt, in der ich mal durch den Wald, mal an kleinen Ortschaften vorbeiwandere, während ich mich bereits nach einem geeigneten Schlafplatz umschaue. Hier und da befindet sich eine Parkpark am Waldrand, die dafür geeignet wäre, wo ich aber nicht mit Sicherheit ungestört wäre, da hier und da Jugendliche unterwegs sind und späte Gassigänger mit Hund. Als ich einen Bauernhof hinter mir gelassen und ein weiteres Dorf durchquert habe, wandere ich weiter durch den Wald. Eine einfache Sitzbank wie man sie immer wieder findet, wäre ein möglicher Schlafplatz, aber ich setze die Wanderung auf der Suche nach etwas Besserem fort.

Es ist finstere Nacht und 22 Uhr, als ich die ideale Stelle zum Übernachten finde. Eine Art Pagode, die sich Schwabenturm nennt, mit mehreren Sitzbänken drumherum. Der Turm soll 29 Meter hoch gewesen sein, existiert aber nicht mehr, nachdem er vor ungefähr 70 Jahren an die Amerikaner verkauft und in Folge von den hiesigen Einwohnern zum Einsturz gebracht wurde, was besonders kompliziert gewesen sein soll. So lautet die Information einer dort angebrachten Tafel. Mysteriös. Vermutlich haben die Amerikaner ihre letzte Rate nicht bezahlt.


[23.09.2021] Vom Schwabenturm bis nach Forbach

Von meinem Schlafplatz auf der Bank neben der Pagode habe ich eine wunderbare Aussicht auf das Tal. Die Idylle wird nur beeinträchtigt durch das rote Blinken von vier Windrädern, von denen Geräusche zu vernehmen sind, als würde sich ein Flughafen in der Nähe befinden. Ab und zu höre einen Schuss, dem ein Quieken folgt. Jäger sind wohl auf der Jagd nach Wildschweinen. Zum Glück bin ich nicht mehr im Wald unterwegs.

So gefroren habe ich noch nie. Zumindest nicht so lange. Selbst eine Flasche Rotwein konnte mich nicht wärmen. Ich sehne den Sonnenaufgang herbei, damit ich endlich starten kann. Die Zeit bis 7 Uhr morgens erscheint mir wie eine Ewigkeit. Meine Hände zittern wie wild, als ich ein paar Fotos von meinem Schlafplatz aufnehme.

Kurz nachdem ich meine Sachen mit zitternden Händen verstaut und ein paar Schritte getan habe, komme ich an einer Wegmarke vorbei. Höchster Punkt im Enzkreis. Das erklärt, warum die Nacht so eisig kalt war. Wirklich keine gute Idee, zu dieser Jahreszeit im Freien zu übernachten.

Von Weitem habe ich schon Lärm ähnlich startenden Flugzeugen gehört, bis ich die Ursache sehe und an einem riesigen Windstromgenerator vorbeiwandere. Von Vögeln und Waldbewohnern ist nichts zu erkennen oder zu hören, wahrscheinlich haben alle Reißaus genommen vor diesen von Menschen erschaffenen Monstern. Sichtbar wurde eine größere Waldfläche gerodet, um den grünen Strom zu produzieren.

Bis Dobel sind es noch ungefähr 5 Kilometer. Bald komme ich an einer Hütte vorbei, die ich mir kurz ansehe. Es gibt dort zwei Feuerstellen und es liegt sogar Holz bereit, samt kleiner Spaltholzstücke. Wäre ich vergangene Nacht nur ein paar Kilometer weiter gewandert, hätte ich mir ein Feuer machen und es etwas wärmer haben können.

Unterwegs erreiche ich einen Platz, der wie ein Steinbruch aussieht. Einer Tafel zufolge handelt es sich jedoch um ein Naturwunder. Quaderförmige Steine, die durch ein geologisches Phänomen entstehen. Früher verwendete man sie als Baumaterial oder fertigte Mühlsteine daraus, bis dieser Platz unter Schutz gestellt wurde.

Bilder zieren den Wegrand, hier befindet sich eine Art Engelspfad mit Zeichnungen und Skulpturen.

Als ich Dobel erreiche, den Wald verlasse und mich die Sonne begrüßt, legt sich die letzte Steifigkeit meiner frostigen Gliedmaßen. Bei einer Bäckerei kann ich Brötchen besorgen und beim nächsten Tor den ersehnten zweiten Stempel für meinen Pilgerpass bekommen.

Die wichtigste Sehenswürdigkeit ist der Aussichtsturm, ein ehemaliger Wasserturm, der um die Nazizeit geriichtet wurde. Von hier hat man eine gute Aussicht, die in das Rheintal reicht, sogar die Pfälzer Burgen soll man von hier aus sehen können. Doch es ist zu neblig für so einen Fernblick, oder meine Sicht ist von der Nacht noch zu getrübt, dass ich solche Details erkennen kann.

Bisher bin ich etwas enttäuscht vom Westweg. Primär sind Tageswanderer unterwegs und ich vermisse die Freundlichkeit, die ich von Pilgerwegen gewohnt bin. Es ist eher die Ausnahme, dass man sich unterwegs mit einem netten „Hallo“ grüßt. Auf dem Weg liegen Taschentücher und benutztes Klopapier. Wild entsorgter Müll am Wegrand zeugt davon, dass es Einigen an der Liebe zur Natur fehlt.

Die einzige Freude habe ich mit meinem Begleiter, dem Knoddelhasen, auch wenn es ihm beim Turnen oft an Respekt fehlt. Sollte ich eines Tages zur Kaaba, dem Heiligtum der Moslems pilgern, werde ich ihn auf jeden Fall nicht mitnehmen.

Bald erreiche ich ein Naturschutzgebiet, das sogenannte Hochmoor, über das ein Steg aus Holzplanken führt. Unmengen von Blaubeerenpflanzen wachsen am Rand, deren Früchte in Reichweite abgeerntet sind. Um welche zu pflücken, muss ich die Planke verlassen und auf das Grün treten. Fast alle Früchte sind jedoch überreif und eine Ernte lohnt sich nicht.

Der Pfad führt abwärts nach Kaltenbronn. Als ich in den Ort hinabsteige, ist auf der gegenüberliegenden Seite ein Hang mit einem Skilift zu erkennen. An dieser Stelle führen die zwei Wegvarianten zusammen und ich finde sowohl die mit einem weißen Strich durchzogene Raute sowie jene ohne.

Im Tal befindet sich ein Biergarten und ich gönne mir eine Pause bei Bratwurst und Bier.

Nach einem Aufstieg vom Biergarten wandere ich eine Weile durch ein recht attraktives Naturschutzgebiet, bis ich einen Kaiser Wilhelm zu Ehren errichteten Turm erreiche, den ich hinaufsteige, und von dem sich ein schöner Blick über das Waldgebiet bietet.

Im Gegensatz zu meinem Begleiter habe ich nicht von den weiß getuften Pilzen gekostet, fühle mich aber so. Ich komme viel zu langsam vorwärts, die zweite Etappe ist ungeheuer mühsam. Ich spüre einen Brummschädel und Fieber, zudem fühlt sich mein Rucksack viel zu schwer an, obwohl er mittlerweile von aller Wegzehrung befreit ist und nur noch ein Minimum von Trinkwasser enthält. Ziemlich sicher war die frostige Nacht im Freien die Ursache davon, dass mir die Wanderung dermaßen zusetzt.

Ich schleppe mich weiter bis zu einer Waldhütte, von der sich ein schöner Ausblick ins Tal bietet. Wäre dies vielleicht ein geeigneter Platz zum Übernachten? Hier gibt es eine Feuerstelle, es liegt jedoch kein Holz bereit. Der Platz ist dem Wind ausgesetzt und wenn ich hier übernachten sollte, wird es mit Sicherheit sehr, sehr kalt. Die Nacht wird abermals sehr lang werden, da es um 20 Uhr schon dunkel ist. Zudem ist es mit 18 Uhr immer noch zu früh, um mir einen Schlafplatz zu suchen. Die Sonne befindet sich noch ein gutes Stück über dem Horizont.

So setze ich meinen Weg fort und folge dem Pfad, der mich in das Tal führt, als die Dämmerung bereits einsetzt. Es wird Zeit, einen Schlafplatz zu suchen. Eine weitere Etappe würde ich noch versuchen wollen, doch wenn es gar nicht mehr geht, diese Tour abbrechen. Fit bin ich mittlerweile überhaupt nicht mehr, aber Pilger ist eben Pilger. Ich muss da durch, habe schon Schlimmeres überstanden.

Je weiter ich hinabkomme, umso besser wird das Mobilfunknetz. Inzwischen bin ich froh, dass ich im Tourismusbüro die Fahrpläne bekommen habe und so finde ich heraus, dass sich in Forbach eine S-Bahn-Station befindet. Bei einem kurzen Halt an einer Hütte, die eine wunderbare Aussicht auf das Tal und die untergehende Sonne bietet, stelle ich per Smartphone fest, dass vom nächsten Ort eine S-Bahn direkt nach Karlsruhe fährt. Würde ich noch weitere Etappen gehen, gäbe es diese ideale Verbindung nicht. Langsam reift der Entschluss, einfach die Bahn zu nehmen und heimzufahren. Ich könnte zu Hause im Warmen übernachten und am nächsten Morgen zurückfahren, um diese Tour fortzusetzen.

Im Tal sind Markierungen eines Märchen-Rundwanderweges zu sehen. An einer Stelle wohnt wohl Grimms berühmte Hexe.

Als ich Forbach erreiche, ist es bereits dunkel. Mein Begleiter, der Knoddelhase, ist deutlich fitter als ich und besorgt uns die letzten Stempel vor der Abreise.

Da mich die Informationen der Leuchtanzeige beim Bahnhof Forbach etwas verwirren und mir nicht klar ist, auf welchem Gleis die S-Bahn fährt, frage ich den Einzigen der dort Wartenden, der sich überraschend gut auskennt. Er erzählt mir, dass die Bahn den vorhergehenden Bahnhof mit drei Minuten Verspätung erreicht hätte und die Verbindung gleich nach der Abfahrt des Zug wegen Nachtarbeiten gesperrt würde. In Rastatt wäre noch ein Umstieg mit fünf Minuten Zeit, aber das müsste man schaffen, da zwischendurch einige Bedarfshaltestellen lägen, bei denen man Zeit gewinnen könne.

Als die Bahn hält, eilt er ins Führerhaus und die Fahrt wird überraschend rasant. Wegen einem unvorhergesehenen Stopp, um auf einen entgegenkommenden Zug zu warten, bleibt nur eine halbe Minute für dem Umstieg in Rastatt.


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