Auf dem Pilgerweg des Franziskus II
Region Umbrien
1: Emilia-Romagna & Toskana
2: Umbrien
In San Sepolcro hatten sich einige neue Pilger eingefunden. Vor dem Start auf die nächste Etappe klaue ich mir einige Trauben von der Weinrebe des Klostergartens als Wegzehrung. An diesem Morgen besteht die Gruppe aus fünf deutschen Pilgern, darunter auch die beiden Pilgerinnen aus den letzten Etappen, die jedoch eine andere Wegvariante - streng nach der vorgegebenen Wegführung - wählen. Nach einem steilen Anstieg erreicht nun unsere Dreiergruppe ein kleines Kloster in den Bergen mit Aussicht auf das weite Tal, wo ich wieder auf das österreichische Pärchen treffe. Eine Gruppe mit Touristen erscheint zwischendurch, die von einem alten Mönch mit Kittel für Gartenarbeiten durch das Anwesen geführt wird.
Nach einem Marsch über den Bergpass nähern wir uns Citta di Castello. Kurz vor dem Ziel besorgen wir noch Pasta, Tomaten, Hackfleisch und andere Zutaten, da es nach Rückfrage auch eine Kochmöglichkeit in dem Refugio gäbe. Die Suche nach der Unterkunft zieht sich einige Zeit hin, da wir erst bei einem Krankenhaus ankommen. Dort weiß niemand etwas von Übernachtungsmöglichkeiten. Nach einiger Zeit finden wir heraus, dass wir bei dem falschen Gebäudekomplex gelandet sind und das Refugio sich beim „Cruz Bianco“ befindet. Dies ist die italienische Katastrophenschutzeinrichtung in einem Komplex gegenüber. Als wir mit dem Kochen beginnen wollen, treffen wir unversehens auf ein neues Problem: der Gasherd in der Küche funktioniert nicht. Die Ursache findet sich schnell: die Gasflasche ist leer. Nach einiger Zeit, in der drei Helfer des Katastrophenschutzes gleichzeitig in Atem gehalten werden, klappt es endlich, eine neue Gasflasche zu organisieren und wir können mit Kochen beginnen. Gerade rechtzeitig zum Essen trifft die jüngere deutsche Pilgerin ein - alleine, da die ältere sich in einer anderen Unterkunft auf halbem Wege einquartiert hat.
Kurz genieße ich den Ausblick vom Balkon der speziellen Unterkunft und stelle fest, dass meine Wäsche, die ich am Abend zuvor gewaschen hatte, noch nass ist. Nachts hatte es ein kurzes Gewitter gegeben.
Die Etappe führt stets bergauf und begab, was sich wenig von den Wegetappen der vorigen Tage unterscheidet. Doch er zieht sich immer mehr in die Länge, als wollte er uns niemals ankommen lassen. Nachdem wir endlich beim Refugio sind und uns nach dem Duschen auf eine abendliche Pizza freuen, werden wir von dem betreuenden Priester aufgehalten, der uns die ganze Stadtgeschichte mittels Google Translate erzählt. Die Qualität der automatischen Übersetzung hatte ich bis zu dieser Situation in positiver Erinnerung. Jedenfalls wird niemand aus seinem begeisterten Vortrag schlau. Die Dorfpizzeria von Pietralunga ist ein wahrer Geheimtipp für Gourmets, die Pizzen sind riesig und sehr preisgünstig: eine Pizza Capricciosa für 5,50 Euro. Zum Schluss teilen wir uns eine Portion Tagliatelle mit Tartufo für zehn Euro. Die Trüffel sind eine regionale Spezialität und sehr teuer.
Das Henkersbeil besitzt eine legendäre Bedeutung in diesem Ort. Der Priester hatte vermutlich versucht, uns den Grund dafür zu erklären. Ein Pilger aus der Gruppe hatte in den vergangenen Tagen Probleme, Geld abzuheben. Um das Problem zu klären, bleibt er noch lange in einer Bank hängen. Dem Rest der Gruppe bleibt reichlich Zeit, Fotos zu machen und einige Cappuccinos einzunehmen. Die Italiener nennen ihn „Capucco“. Als unser Pilgerkollege wieder auftaucht, kommt er mit schlechten Neuigkeiten: nach den Informationen der Bank wurde seine Kreditkarte offensichtlich kopiert. Da Unregelmäßigkeiten aufgefallen waren - unter anderem Einkäufe in Brasilien und mehren afrikanischen Ländern innerhalb eines Tages - wurde seine Karte sicherheitshalber gesperrt. Deutlich später als geplant geht es los.
Zwei aus unserer Pilgergruppe schwächeln zunehmend, da sie am vergangenen Abend noch in einer Bar verschwunden waren und fast die ganze Nacht durchgesoffen hatten.
An der kargen Vegetation wird immer wieder erkennenbar, dass das Klima in Umbrien zunehmend trockener wird.
Wir sind nur noch zu zweit, ich und ein Pilger aus München. Langsam aber stetig nähern wir uns der Stadt Gubbio. Es ist ein sehr beeindruckender Ort aus Sandsteinbauten. Man kann sich kaum vorstellen, wieviel Historie in jedem einzelnen Stein verborgen liegt. Die Herberge suchen wir vergebens, daher setzen wir uns vor einen Eingang und melden uns bei der Verwalterin telefonisch. Sie erscheint kurz darauf und es stellt sich heraus, dass wir direkt vor der Eingangstür sitzen. Es war jedoch nicht der geringste Hinweis zu finden, dass in diesem Gebäude das Refugio wäre. Die Italiener scheinen wohl davon auszugehen, dass man als Pilger hellsehen kann.
Nach dem Etappenplan wären es nur noch zwei Tage bis nach Assisi. Bis Valfabbrica die 30 Kilometer zu wandern, zu denen man gefühlt noch 10 bis 20 km dazu addieren muss, dazu hat jedoch keiner Lust. Zwei wollen die Hälfte der Strecke mit dem Bus fahren. Ich plane für die zwei Etappen 3 Tage ein und der Vierte will noch einen Tag in Gubbio bleiben. Da die mittelalterliche Stadt Gubbio sehr interessant ist, nutze ich den Vormittag für eine Wanderung rund um die Stadt. Vom Berggipfel oberhalb der Basilika des Heiligen Ubaldo, hoch über der Stadt gelegen, genieße ich den einmaligen Rundumblick auf die Region Ubrien. Von hier aus gibt es die beste Aussicht des Cammino di Assisi insgesamt.
In der Kirche sind Holzgefäße zu sehen, die in Gubbio eine besondere Bedeutung besitzen. Es sind eine Art Reliquienbehälter, die einmal jährlich bei einer großen Prozession von der Basilika hinab zur Stadt getragen werden.
Von Gubbio nach Assisi hatte Franziskus einst seinen legendären Friedensmarsch unternommen. Wegweiser erinnern einen immer wieder an dieses legendäre Ereignis. Ökos, die acht Jahrhunderte später die Wanderung des Heiligen wiederholen wollen und ökologisch korrekte Unterkünfte suchen, können vielerorts das passende Ambiente auf einem sogenannten Agroturismo finden.
Als ich die Mitte der Etappe und mein Tagesziel Sant Pietro erreicht habe, werde ich von drei Hospitaleros begrüßt - einer ist weiblich, alle im älteren Semester und offensichtlich sehr lustige Gesellen. Ich bin heute ihr einziger Gast. Es gibt viele Verständigungsprobleme, da keiner von ihnen englisch oder deutsch versteht und ich meinerseits die Italienischkenntnisse kaum weiterentwickeln konnte. Mein rudimentäres Spanisch hilft ein wenig.
Die Hospitaleros kochen Abendessen für alle und eine Spezialität dazu: frittierte Peperoni. Einen ganzen Teller. Und zwar die besonders scharfe Sorte.
Kurz vor 9 Uhr begebe ich mich auf den Cammino. Bei der Wegbeschreibung wird darauf hingewiesen, dass der Original-Friedensweg des Franziskus nicht mehr begehbar wäre aufgrund von Bauarbeiten. Bald erkenne ich, warum: hier wird ein Staudamm errichtet. Man wird weit um das Tal herumgeführt. Bis auf den Schluss kurz vor Valfabbrica ist es ein sehr eintöniger Weg.
Ich hätte die letzten Kilometer deutlich abkürzen können, wenn ich nach Valfabbrica über die Landstrasse gewandert wäre, statt dem Cammino zu folgen. Glücklicherweise werde ich am Schluss noch mit einer kleinen Idylle belohnt. Schnell anzukommen ist diesmal nicht wichtig. Das Auge pilgert mit.
Wenn die Entfernungsangaben in der Beschreibung korrekt sind, habe ich für 15 km insgesamt 8 Stunden gebraucht. Auf keinen Fall wäre die Distanz von gestern noch inklusive zu schaffen gewesen - oder es wäre es die reinste Qual gewesen. Entweder stimmt das mit den abgegebenen Kilometerzahlen ganz und gar nicht oder ich werde langsam alt. Vielleicht werde ich den nächsten Cammino mit dem Rollator pilgern müssen.
Die letzte, offiziell zwölfte Etappe ist mit 15 Kilometern die kürzeste von allen und ich bin schon gespannt, was mich in Assisi erwarten wird. Es sind deutlich mehr Pilger unterwegs als auf dem ganzen Weg zuvor. Wieder treffe ich Österreicher. Die sind auf dem Cammino di Assisi außergewöhnlich häufig vertreten. In Gubbio hatte ich den Akzent an jeder Ecke gehört. Obwohl dies die kürzeste und leichteste Etappe ist, wie ein leichter Spaziergang fühlt sie sich nicht an. Die anstrengenden Bergwanderungen der Vortage sitzt mir noch in den Knochen. Mit Erleichterung nehme ich einen weißen Gebäudekomplex auf einem Bergsattel wahr. Dies kann nur eins sein: die Stadt des Franziskus und das Ziel des Cammino di Assisi!
Der letzte Anstieg führt durch einen stilvoll angelegten Park. Inschriften erzählen ein wenig über die weisen Botschaften des Heiligen.
„Wo ist deine Kathedrale?“, wurde er einst gefragt. Franziskus, der allem Materiellen entsagt hatte, zeigte auf die weite Landschaft rundum und antwortete: „Seht, dies alles ist meine Kathedrale. Es ist die Natur, die Tiere und die Pflanzen. Alle Wesen, die auf der Erde leben.“
Papst Gregor IX korrigierte den Fehler nach dem Ableben des Franziskus und errichtete über dessen Grab eine Basilika, die seiner spirituellen Größe und eines Halbgottes würdig ist. Seinem Wusch gemäß wurde Franziskus auf dem Colle dell'Inferno bestattet. „Hügel der Hölle“ genannt, da dieser Platz einst für Hinrichtungen verwendet wurde. Posthum wurde der Ort jedoch umbenannt in Colle de Paradiso, „Hügel des Himmels“.
Vom Naturpark aus kann man die Größe der Anlage schon erkennen. Jede der Sitzbänke trägt eine Plakette und ist einer Person gewidmet. Wer in diesem Fall gemeint ist?
Der direkte Zugang zur Basilika ist gesperrt. Um auf das Gelände zu kommen, wird man erst durch eine Sicherheitskontrolle gelotst und muss sein Gepäck von Soldaten mit Maschinenpistolen durchsuchen lassen. Wie gefordert, öffne ich meinen Rucksack und kommentiere den Inhalt mit dem Wort „Pellegrino“. Der Soldat winkt mich durch, ohne ihn zu durchsuchen. Vermutlich war ihm die Geruchswolke der seit vielen Tagen nicht gewaschenen Klamotten Beweis genug, dass ich nur ein harmloser Pilger bin.
Finale. Ich bekomme meine sogenannte „Assisiana“, die Pilgerurkunde. Damit habe ich Schwarz auf Weiß - sogar in Bunt - die Bescheinigung, dass ich den Cammino di Assisi gegangen bin.
Am zweiten Tag in Assisi nehme ich mir Zeit, die Basilika und verschiedene Reliquien anzuschauen.
Die Stadt Assisi ist ein Eldorado auch für zahllose Touristen - in den Schaufenstern wird alles Mögliche an Kuriositäten angeboten.
Oberhalb der Stadt wacht eine Burg, die ich über das obere Stadttor erreiche.
Die Festung ist über tausend Jahre alt und hatte immer wieder ihren Besitzer gewechselt. Unter anderen war sie im Besitz von Christian von Mainz, Konrad von Urslingen und Friedrich II dem Einäugigen.
Überrascht bin ich von der Existenz eines römischen Tempels. Einst war er der Göttin Minerva gewidmet. Heute befindet sich eine christliche Kirche darin.
Kleidervorschriften in der Kirche der Heiligen Chiara, Begründerin des Klarissenordens.
Ein letzter Blick zurück auf die Basilika.
Als ich Assisi verlasse, finde ich Wegweiser für einen weiteren Pilgerweg. Er nennt sich Cammino della Luce und führt nach Rom. Umgekehrt kann man von Rom wieder zurück nach Assisi wandern. Dann nennt sich der Weg aber Cammino degli Angeli. Doch meine Tour ist hier zu Ende. Ich bin auf dem Weg zum Bahnhof. Der Cammino di Assisi war der anstrengende Pilgerweg von allen, die ich bisher unternommen habe.
← zurück zur Region Emilia-Romagna & Toskana
← Alle Berichte